Die Notaufnahme 08. März 2023 Erster Eintrag
Das Team der Notaufnahme stand schon bereit, als ich aus dem Krankenwagen ins Rikshospital gebracht wurde.
„Mein“ Raum war gleich der erste auf der rechten Seite. Dort durfte ich von der Krankenwagenliege in ein richtiges Bett wechseln, dieser neue Komfort tat mir richtig gut. Was ich allerdings weniger als komfortabel empfand, war die ganze medizinische Ausrüstung, die in diesem sehr großen Raum stand: Monitore, Kabel, ein sehr großer Schrank mit verschiedenen Medikamenten und Ampullen drin, Schränke und Ablagen, Wagen mit Ablageflächen und das Meiste hab ich zwar gesehen, aber nicht wirklich wahrgenommen, was es alles ist. Ich hatte eigentlich schon genug mit mir und meiner Situation zu tun.
Nachdem ich nach meinem Namen und meiner Personnummer gefragt wurde, wurde mir natürlich auch die Frage gestellt, was denn mit mir passiert ist. Ich erzählte meine Geschichte nocheinmal. Währenddessen hatten wir noch kurz abgeklärt, was mit meinem Arbeitspulli passiert, weil es schwierig wäre, meine Hand durch den engen Bund am Arm und der sonst eher dichter anliegenden Passform der Ärmel zu bekommen. Es ginge, allerdings müsste ich mit Schmerzen dabei rechnen. Wir haben uns dann für die Alternative entschieden, den Pulli zu zerschneiden und zu entsorgen.
Danach musste ich mich bis auf die Shorts ausziehen und bekam so ein tolles Flügelhemd an.
Mir wurden dann auch Elektroden angeklebt, um ein EKG zu machen. Sogar rechts und links von den Hüftknochen wurde mir was angebracht. Das kannte ich bislang noch nicht. Da ich etwas Brustbehaarung besitze, wurde mir auch ein wenig davon wegrasiert. Ich sah hinterher aus wie ein gerupfter Dalmatiner, überall waren blanke Löcher hinrasiert.
Das war ein 10-Punkt-EKG, was mir angelegt wurde. Damit kann man alle wichtigen Ableitungen am Herzen sehen.
Wieder wurde mir von jeder neu hinzukommenden Person die Frage gestellt, ob ich denn irgendwelche Allergien hätte. Das passierte so oft, dass ich Lust bekam, mir ein Schild um den Hals zu hängen, auf dem steht: „Nee, hab ich nicht.“
Ich musste dann auch wieder erwähnen, dass ich ein Angstpatient bin und dass es gerade bei Spritzen und Kontrollverlust am extremsten ist. Darauf wurde sehr toll eingegangen und ich bekam eine Beruhigungstablette, die auch unwahrscheinlich schnell ihre Wirkung zeigte. Dann bekam ich aber den Bescheid, dass man mir einen Zugang legen muss. Gut, damit habe ich gerechnet, da muss ich halt einfach durch. Ich habe mich dann dafür noch entschuldigt, dass ich mich da wie ein Kleinkind aufführe.
Das Stechen vom Zugang war eigentlich nicht wirklich ein Problem, das ging sehr schnell und relativ schmerzfrei, aber die irrationalen Angstgedanken drumherum sind das, was mich jedes Mal fertig macht. Ich wurde auch gefragt, wann ich das letzte Mal Tetanus und dergleichen bekommen habe, worauf ich erwiderte, dass es schon sehr lange her ist. Darauf kam dann nur: „Weißt du was, eigentlich müssten wir dir jetzt die Spritzen geben, aber wir geben dir das mit, dann bekommst du das oben im OP, wenn du schon schläfst.“ – das fand ich richtig toll.
Was ich auch als fantastisch empfand: Die Ruhe, die das Personal ausgestrahlt hat, das Einfühlungsvermögen und dieses Gefühl, dass alles wieder gut wird. Es wirkte trotz meiner Situation alles recht entspannt.
Nun hatte ich aber diese kleine Herausforderung, dass ich eigentlich auf die Toilette müsste. Das habe ich der Krankenpflegerin mitgeteilt, die dann kurz überlegte und dann meinte, das ginge wohl am besten mit einer Urin-Flasche. Diese brachte sie mir dann auch und fragte, ob ich denn damit zurecht kommen würde.
Ich stutzte kurz und wollte schon eine Bemerkung äußern, als mir dann einfiel, dass ich ja nur eine Hand zur Verfügung habe, eine Shorts mit einem recht festen Gummibund anhabe und auch ein gewisses Schamgefühl besitze. Der Raum hat eine große, offene Doppeltüre und eine Fensterfront zum Gang hin; jeder, der hier in die Notaufnahme reinkam, hatte vollen Einblick in diesen Raum.
Ich versuchte es. Umständlich, aber es ging. Ich musste nur höllisch drauf aufpassen, dass auch alles in der Flasche blieb, also nicht nur der Urin, sondern auch ich, dieser nervige Gummibund der Shorts war eben im Weg. Aber gut – keine Pfütze auf dem Boden und keine nasse Hose. Nur jetzt wo hin mit der Flasche? Ich schaffe es irgendwie immer wieder, in peinliche Situationen zu kommen, selbst in der Notaufnahme nach einem Arbeitsunfall.
Ich bin wohl irgendwie die Personifizierung des sich die Augen zuhaltenden Affens ()
Dann kam eine Krankenschwester an mich heran und meinte, sie würde mir jetzt ein Mittel gegen meine Schmerzen durch den Zugang verabreichen. Nur kurz, nachdem sie es tat, ging mir ein recht unbeschreibbares Gefühl durch den Körper. Eine Mischung aus leichtem Schwindel, das Bett, in dem ich lag, schien sich in Bewegung zu setzten, eine wohlige Wärme ging durch meinen Körper und noch dazu ein Wohlgefühl – alle meine Ängste waren plotzlich weg und ich wurde sehr ruhig.
Ich war gerade dabei, auf die Frage, ob ich bei einem Forschungsprojekt mitmachen möchte, zu antworten und unterbrach meinen eigenen Satz mit: „Oi, jetzt passiert hier was in mir!“. Danach fuhr ich fort, allerdings ging das irgendwie auf Autopilot und ich war nur dabei, eigentlich observierte ich das, was in mir vorging und fragte mich dabei, ob mir das nun gefällt oder eher nicht.
Aber es gefiel mir dann doch irgendwie. Es war wie ein klarer, leichter Rausch. Nicht so benebelt, wie man es von Alkohol oder etwas anderem kennt. Nein, ich war voll da, aber fühlte mich wohl und sicher, schmerzfrei und vor allem frei von meinen Angstgedanken. Ich konnte Dinge einfach passieren lassen, ohne mich bekümmern zu müssen.
Ich bin mir nicht ganz sicher, was ich da bekommen habe, aber ich meine mitbekommen zu haben, dass das Morphium war.
Ich habe mich dann dazu entschlossen, bei der Studie, dem Forschungsprogramm dabei zu sein. Mein Gedanke dabei war, dass ich dadurch noch mehr Personen um ich herum, und damit noch mehr Aufmerksamkeit und Sicherheit rund um meine Hand haben werde. Schaden kann das ja mit Sicherheit nicht und wenn ich damit auch was Gutes für die medizinische Weiterentwicklung tun kann – ja, warum nicht?
zum Lesen anklicken
Im Anschluss ging es dann auch schon weiter, nachdem ich sämtliche Wertsachen wie das Handy, den Geldbeutel usw. abgegeben habe, damit es dem Sicherheitsdienst zum Einschließen übergeben werden kann.
Man fuhr mich mit meinem Bett den Gang entlang in Richtung Aufzüge und dank des Morphiums und dieser Beruhigungstablette war ich anstatt ängstlich eher gespannt darauf, was als nächstes passieren wird.